Zur Rolle und Funktion des Kontextes in der Translation multimodaler Textverbunde. Der Fall der Übersetzung des Struwwelpeter ins Italienische
Ilaria Meloni
2024-01-01
Abstract
Der Kontext kann im weiteren Sinne als die Gesamtheit der sprachlichen und außersprachlichen Umstände definiert werden, unter denen eine kommunikative Handlung stattfindet. Bei multimodalen Texten beruht das multisemiotische Kommunikat „auf der semantischen und funktionalen Verknüpfung bzw. wechselseitigen Integration verschiedener Zeichenmodalitäten“ (Klug/Stöckl 2016: VII). Ein solcher „Textus“, in dem visuelle (nonverbale), verbale sowie paraverbale Zeichen vernetzt sind und sich gegenseitig ergänzen, soll im Fall einer Übersetzung für andere Leser rekontextualisiert werden, indem zielgerichtete Strategien einer neuen gegenseitigen Resemantisierung von Sprache und Bild eingesetzt und ihre typischen semiotischen Potentiale neu genutzt werden. Vor diesem theoretischen Hintergrund wird im vorliegenden Beitrag das bekannte 1845 vom Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann veröffentlichte Kinderbuch „Der Struwwelpeter“, das als eins der ersten erzählenden Bilderbücher gilt, mit zwei zeitlich weit auseinanderliegenden italienischen Übersetzungen verglichen. Zum einen handelt es sich um die erfolgreichste und am meisten verbreitete Übersetzung in italienischer Sprache, die der Politiker Gaetano Negri 1891 in sehr kurzer Zeit anfertigte, zum anderen um jene der Übersetzerin Maria Luisa Mazzoni, die erst 1984 erschien. Beide italienischen Fassungen sind nach dem Namen der Hauptfigur „Pierino Porcospino“ betitelt, dessen eigenartiger Name eigentlich einem ersten unbekannten italienischen Übersetzer zu verdanken ist. Im Fokus des Artikels stehen Faktoren, die sich sowohl auf den Translationsprozess wie auf das Translat auswirken, denn es sind dabei nicht nur die „Vielfalt und Kontextsensibilität multimodaler Textstrukturen“ (Klug/Stöckl 2016: IX), sondern auch die allgemeinen soziokulturellen sowie literarischen Kontextfaktoren zu beachten, die für die Textrezeption relevant sind. Während in der Biedermeierzeit, in welcher der Struwwelpeter konzipiert wurde, die Kinderliteratur als ein wichtiges Instrument der Erziehung empfunden wurde, scheint die moralische Belehrung in der Translation von Negri teilweise in den Hintergrund zu rücken, wobei der Form sowie den sprachlich gelungenen Versen im damaligen literarischen Panorama Gewicht zukommt. Hierbei entspricht der semantischen Bedeutung des Verses ein erheblicher Abwechslungsreichtum der Metren, sodass der Stropheninhalt durch die Prosodie hervorgehoben wird. So wechseln bei Negri z.B. achtsilbige Verse mit Paarreim in leierndem Ton (»„Oh che schifo quel bambino,/è Pierino il porcospino“«, Negri 2010, 2) mit Hendekasyllaben – dem Vers der italienischen poetischen Tradition par excellence – und Dreisilblern, v.a. im Refrain (»No, no, no«, Negri 2010:17), die der Geschichte Einprägsamkeit verleihen. Die Musikalität des Textes ist in beiden italienischen Fassungen durch übersetzte oder neu erfundene Klangfiguren, Wortspiele oder Onomatopöien gewährleistet. Die vergleichende Beschreibung der schon im Untertitel des Bilderbuches „Lustige Geschichten und drollige Bilder“ angekündigten Wechselwirkung zwischen verbalen und nonverbalen Zeichen in den drei jeweiligen Fassungen steht darüber hinaus im Mittelpunkt. Wenn Mazzoni die originale Text-Bild-Relation größtenteils beibehält, ändert Negri nicht selten diesen Zusammenhang, indem er die Strophen erweitert, um mit literarischem Geschmack die Bilder frei zu beschreiben. In dieser Hinsicht, besonders bezüglich der Bildlichkeit der Schrift, spielen auch das Layout und die Anordnung von Text und Bild auf derselben Seite eine interessante Rolle. Des Weiteren zeigt Mazzoni in ihrer sowohl semantisch als auch formal meist treuen Bedeutungsrekonstruktion des originalen ‚Textes‘, wie die Inhalte des deutschen Struwwelpeters de facto kulturell übertragbar und immer noch aktuell sind, denn sie warnen Kinder vor dem Spiel mit Feuer und den Gefahren der Straße, verurteilen Rassismus und die Misshandlung von Tieren und lehren gute Tischmanieren (vgl. Sauer 2020: 5).File in questo prodotto:
File | Dimensione | Formato | |
---|---|---|---|
IMeloni_Struwwelpeter_v.editoriale.pdf
accesso aperto
Tipologia:
versione editoriale (VoR)
Dimensione
536.93 kB
Formato
Adobe PDF
|
536.93 kB | Adobe PDF | Visualizza/Apri |
I documenti in IRIS sono protetti da copyright e tutti i diritti sono riservati, salvo diversa indicazione.